Ein langes Frühstück, bei dem es an nichts fehlt, bildet den Abschluss in Haugåshalla. Unsere Geheimstrategie ist es, uns viel Zeit zu lassen bei den Morgenritualen, bis die meisten Camper schon wieder auf der Straße sind und weiter Richtung Lofoten jagen. Der Campingplatz ist dann angenehm leer und es wird nicht hektisch zusammen gepackt. Es geht daher entspannt hinters Lenkrad. Nach dreieinhalb Stunden Fahrt mit mehreren kleinen Pausen lenken wir den Bulli auf einen Platz in Namsskogan. Wir sind ganz schön baff, als wir ein junges Mädchen hinter dem Empfangstresen sitzen sehen. Sie spult souverän die Camping-Floskeln herunter und bleibt dabei gelassen und höflich. Wie sich herausstellt, ist es die Enkelin der Besitzerin, die bereitwillig ihre Sommerferien opfert um die Arbeit ihrer Großmutter zu übernehmen. Eine Freundin sitzt interessiert neben ihr und beide kichern peinlich berührt, als die dritte gröhlend reinplatzt und nicht gemerkt hat, dass Kunden gekommen sind. Wie immer, zieht es uns direkt ans Wasser. Wir wählen einen Platz am Eck. Auch ein Berliner Pärchen, das seit 18 Jahren in Schweden lebt und gerne immer wieder in Norwegen Urlaub macht, nutzt den Tag mit Sonnenbaden am See aus. Sie kommen von den Lofoten und das Wetter war durchgehend kalt und nass. Das haben wir jetzt schon so oft gehört, dass es uns zu den Ohren raus hängt. Und – was noch weniger schön ist – uns die Vorfreude trübt. Immer wieder checken wir die Wetterberichte auf yr.no und storm.no und planen unsere Anfahrtsroute nach dem Wetter. Klar, wir sind im hohen Norden, aber maximal Sonne abgreifen wollen wir schon. Heute ist es auf jeden Fall Bikini-warm und einfach nur sommerlich. So sommerlich, dass der norwegische Nachbar seinen Vogel aus dem Campingwagen holt und ihn in die Sonne stellt. Das toppt nicht ganz den Typen, der seine Katze in die Luft geworfen hat wie ein Kleinkind, ein Papagei im Wohnmobil ist aber auch nicht weniger unterhaltsam.
Auch der nächste Tag weckt uns mit Sonnenschein. Wieder fahren wir am späten Vormittag weiter. Ein paar schöne Campingplätze soll es an der Küste bei Sandnessjøen geben. Am ersten fahren wir vorbei. Da aber kein anderer in Sicht kommt, drehen wir um und wollen uns den Platz einmal von Nahem ansehen. Ein Freund des Besitzers mit beidseitigen Hörgeräten, der sich für sein ,,schlechtes Bein“ entschuldigt, zeigt uns die Richtung zum Meer, wo es Stellplätze gäbe. Wir fahren über die buckeligste Piste, die wir bisher befahren haben und finden uns an einer sehr engen Stelle wieder. Hier stehen bereits einige Wohnwagen auf den großen Felsen an der Kante, die zum Meer hinunter geht. Hier ist weder Platz für uns, noch könnten wir auf diesem Untergrund halbwegs gerade parken, ohne dass die Teller vom Tisch purzeln. Also manövriert Phil den Karren rückwärts wieder hinaus und wir müssen weiter auf Suche gehen. Wir passieren die Bergkette „sieben Schwestern“.

Die Stimmung ist mäßig und wird auch nicht besser, als keine andere Übernachtungsmöglichkeit in Sicht ist. Als das Schimpfen gerade wieder anfangen will, sehen wir ein Schild, das zwar besetzte Hütten anschreibt, aber freie Campingplätze. Na also. Eine aufgeregte junge Dame empfängt uns. Wir dürften einen Platz wählen, es gäb allerdings nur ein Sanitärhaus auf dem Platz. Das ist nicht ungewöhnlich, allerdings ist der Platz sehr weitläufig. Weit hinten geht es über einen vom Meer eingeschlossenen Steinweg zu einem kleinen Bereich mit Fischerhäuschen, in unmittelbarer Nähe zum Bootsanleger. Nur ein älteres Wohnmobil steht dort, also sehen wir unserer Chance. Wir knallen den Bus an den für uns perfekten Platz: rundum Meerblick, Berge, nur ein Wohnmobil in Sicht. Fett! Vor uns Gras und Felsen, über uns die Möwen, der Wind zerzaust uns die Haare, die Sonne kitzelt die Nase. Genial, dass wir heute doch noch so ein schönes Plätzchen gefunden haben.
Alle weiteren Camper, die versuchen auch noch auf dieser schönen Insel zu landen, werden erfolgreich von unserem Nachbarn vertrieben. Dafür bekommt er von mir ein dickes Lob und kurze Zeit später sind wir dicke Freunde. Jörg aus Hamburg macht mit seiner Frau schon seit Jahrzehnten Urlaub in Norwegen. Jetzt im Rentenalter natürlich noch ausgiebiger. Nur die Lofoten fahren sie nicht mehr an. Einfach zu viel los. Das war früher alles ganz anders. Jörg ist begeisterter Angler und verspricht uns am nächsten Tag einen Fisch, falls wir noch hier sein sollten. Am Abend sitzen wir dann im Bus – der Wind ist doch ziemlich eisig geworden – und sehen am bis dahin strahlend blauen Himmel eine einzelne Mini-Wolke vorbei ziehen. In einer Geschwindigkeit die uns bis dahin nicht möglich schien. Da sagt Philipp, ich solle mal nach hinten schauen. Es bietet sich uns ein echtes Naturschauspiel: Innerhalb von wenigen Minuten ziehen dermaßen rasant Wolken an uns vorbei, dass der Berg auf der anderen Seite immer mehr im Weiß verschwindet. Die Sonne sieht durch den Schleier aus wie der Mond. Irgendwann ist nicht einmal mehr das gegenüberliegende, nicht weit entfernte Ufer zu erkennen. Die Temperatur ist innerhalb von zehn Minuten um zehn Grad gefallen. Dieser Ort fasziniert uns sehr.
Also bleiben wir noch eine weitere Nacht. Für die bekommen wir sogar einen Preisnachlass, weil das Wetter umgeschlagen hat. Ein Tag Pause vom Fahren würde uns dreien sowieso mal wieder gut tun. Wir machen einen großen Spaziergang vorbei am Fußball-Golf-Feld, was wir in Dänemark schon mehrmals gesehen haben. Am Abend gehen Jörg und seine Frau mit ihrem Boot aufs Meer raus und wollen angeln. Sie geben uns das Versprechen, uns einen Fisch zu schenken, wenn sie erfolgreich sind. Das sagt Jörg mit einem kecken Augenzwinkern. Die Fische beißen hier oben massenweise an. Nach einer Stunde sind die beiden schon wieder zurück und breiten im Angelhäuschen ihren Fang aus: Acht große Dorsche und ein Seelachs. „Sucht euch einen aus“. Ich suche den kleinsten Dorsch aus, der reicht uns alle Male. Jörg patscht mehrmals auf alle Fische drauf, das macht man wohl im Angler-Business so. Ich soll unseren auch anfassen. Na gut. Fühlt sich an, wie er aussieht. Das Tolle ist, dass sich kein Fischgeruch breitmacht, nur Meeresduft. Das Ausnehmen übernimmt Jörgs Frau, nachdem wir den beiden verklickert haben, dass wir das noch nie gemacht haben und es wohl ein sehr ungeschicktes Gemetzel gäbe. Der Kopf wird als Erstes abgehackt. Die Eingeweide wurden schon auf dem Wasser entfernt. Ziemlich faszinierend, wie schnell das Filet mit dem scharfen Messer abgetrennt ist. Wir bedanken uns zum zehnten Mal und machen uns aufgeregt ans Kochen. Etwas unbeholfen steht Philipp mit der Pfanne vor dem Bus und brät den Fisch so gut es geht nach Gefühl. Wir haben auf der Reise bisher gänzlich auf Fleisch verzichtet. Da ist so ein frischer Fisch doppeltes Highlight. Das weiße Fleisch ist butterweich und zerfällt zart auf der Gabel.
Uns schmeckt es. Selbst angeln wollen wir aber vorerst nicht. Vielleicht einmal mit raus fahren, was aber mit Hund nicht machbar sein wird. Also nehmen wir vorerst gerne die Spenden von eifrigen Fischern an. Ein Schweizer, den wir später treffen werden, erzählt uns von Touristen und Einheimischen, die in ihrer Angel-Geilheit zu „kleine“ Fische einfach tot zurück ins Meer oder in den Mülleimer schmeißen, weil es so viele gibt. Nach 10 Minuten hat man genug Fisch für ein großes Abendessen geangelt, die Jagd- oder Sammelwut ist dann aber noch lange nicht befriedigt.
Weg vom Anglerparadies machen wir uns am nächsten Tag auf Richtung Bodø. In Øresvik halten wir für eine Nacht auf einem noch leeren Stellplatz mit Blick auf die einfahrenden Fähren, von denen wir am nächsten Morgen auch eine nehmen wollen. Der Platz füllt sich schnell und gleicht bald einer Heringparty, wie die Ungarn sagen. Trotz kaltem Nordwind sitzen wir mit Tee und Obstsalat tapfer draußen auf einer Holzbank und zocken einige Partien Backgammon. Der kalte nordische Sommer hat uns in den letzten Wochen merklich abgehärtet. Jetzt sind wir die, die abends noch draußen sitzen und von den Anderen aus ihren beheizten Wohnmobilen angeschaut werden, als wären wir nicht mehr ganz bei Trost. Während Deutschland schwitzt sitzen wir mit doppelter Jacke und Strickmütze im eisigen Wind. Klingt ziemlich verrückt, wir genießen die Natur aber trotz der Temperaturen sehr.
Im Bus kann es allerdings doch zapfig kalt werden. Was uns dann schon einige Male geholfen hat, ist mein Fön. Unser Nachbar in Øresvik- ein Schweizer – bietet uns darum seinen Heizlüfter für die Nacht an. Wir lehnen dankend ab, behalten uns aber seinen Hinweis im Hinterkopf, dass es in den Baumärkten hier günstige Heizungen gäbe. Über die Kälte hinweg hilft uns diese Nacht nur eine Wärmflasche, die wenigstens gegen die kalten Füße hilft. Am nächsten Tag kaufen wir einen Heizlüfter.
Mit einem neuen Heizer für umgerechnet zwölf Euro im Gepäck fahren wir immer Richtung Norden an der Westküste entlang. Am Morgen wollen wir die Fähre um zehn Uhr nehmen, die nur zehn Minuten vom Campingplatz entfernt ablegt. Wir sind mit reichlich Vorsprung am Anleger und reihen uns brav in die Warteschlange ein. Leider halten das nicht alle für nötig und so kommt es, dass sich zwei Drängler vorschieben, von denen prompt einer auf die Zehn-Uhr-Fähre kommt, alle hinter ihm aber anderthalb Stunden auf die nächste warten müssen – auch wir. Nützt alles nichts, so kommen wir immerhin zu einem zweiten, ausgedehnteren Frühstück. Die Überfahrt dauert eine Stunde. Danach heizen wir in gestrecktem Galopp zur nächsten Fähre, die wir glücklicherweise noch erwischen und innerhalb von zehn Minuten wieder ein Stück weiter nördlich landen. Einen spektakulären Halt machen wir am Svartisen-Gletscher. Eine blau-weiße Gletscherzunge, die bis vor wenigen Jahren noch gekalbt hat, d. h. direkt in den Fjord eintauchte. Hier werden wir von vier Frankfurtern angequatscht, die nur 2 Wochen für Norwegen Zeit haben. Vater, Mutter, Sohn und Onkel erzählen, dass ihr Automotor in den ersten Urlaubstagen kaputt gegangen sei und sie nun mit Leihwagen unterwegs seien. Wir sind nach diesem Gespräch überaus dankbar und froh, dass auf unserer Reise bisher alles so glatt lief lief. Der einzige Wermutstropfen sind die norwegischen Straßen, die wirklich konstant höchste Wachsamkeit erfordern und deren tiefe Schlaglöcher und Viehroste den Hund ziemlich zittern lassen. Aber mit genügend Pausen, ausreichend Streicheleinheiten am Abend und einem vollen Bauch lässt sich der Stress der Fahrerei schnell wieder vergessen.
In Reipå verbringen wir die Nacht auf einem Campingplatz, der an der Straße liegt und ausschließlich Tagesgäste zu beherbergen scheint. Wir sehen die Tandemfahrer wieder, die wir die letzten Tage mehrmals getroffen haben. Sie haben eine unglaubliche Strecke zurückgelegt und wirklich unglaublich sehnige Beine! Sowieso begegnen wir immer wieder Fahrradfahrern, die die Berge hoch und runter jagen um dann abends ins Zelt zu verschwinden, das vom Wind die ganze Nacht lang durchgerüttelt wird. Dieses raue Land verlangt den Sportlern hier wirklich einiges ab. Da geht es bei uns doch komfortabler zu, erst recht, wo wir ja jetzt einen Heizlüfter haben. Wohlig gewärmt sinnieren wir über den Tag und unser Tageshighlight: Wir haben den Polarkreis überquert.
Der Morgen bringt kurze Schauer. Wir begeben uns zurück auf die FV.17, den sogenannten Kystriksveien, der uns außerordentlich gut gefallen hat. Immer wieder führt die Straße an prächtiger Natur und tollen Aussichtspunkten vorbei. So auch heute, wo wir den Saltstraumen von einer Brücke aus beobachten können. Hier ziehen Ebbe und Flut alle sechs Stunden fast 400 Millionen Kubikmeter Wasser mit einer Geschwindigkeit bis 37 km/h in die Meerenge und drücken diese wieder zurück. Saltstraumen ist somit der größte Gezeitenstrom der Welt. Wir haben den Zeitpunkt einer Flut abgepasst, kurz vor ein Uhr mittags, als der Strom am heftigsten sein soll. Man sieht die kreisrunden Strudel und immer wieder Wassermassen, die wie Wellen Richtung Land schieben. Angler nutzen diese Strömungen und angeln sich wahrscheinlich dumm und dämlich. Zwei Männer im Speedboot nutzen den Kick um gegen den Strom zu kommen und titschen immer wieder auf.
Wir fahren weiter und suchen uns einen Stellplatz in Bodø aus, um am nächsten Morgen einen möglichst kurzen Weg zur Fähre auf die Lofoten zu haben. Kaum sind wir auf den Platz gefahren, steht Udo vor uns, der auch prompt abkassiert. Ein Exil-Franke, der in seinem Wohnmobil hier auf dem Platz wohnt. Wir müssen auf eine Dusche verzichten, immerhin gibt es aber ein Dixie-Klo. Ein wenig glorreicher Abschluss vor unserem verheißungsvollen Ziel „Lofoten“, aber mehr als ausreichend. Die Vorfreude ist mit Händen zu greifen.
Campingplätze:
1. Namsskogan (Nyheimcamping: 25,84 € inkl. Duschen)
2. Sandnessjøen (Offersøy Camping: 28,09 €, Duschen 10 NOK); zweiter Tag: 25,84 € = Schlecht-Wetter-Preis
3. Øresvik (Polarcirkelen: 21,26 € = Bulli-Preis, Duschen 10 NOK)
4. Reipa (Reipa Camping: 230 NOK, inkl. Duschen)
5. Bodø (Stellplatz bei Udo: 14,66 €, no Dusch)