Noch fasziniert von den Eindrücken der Lofoten wollen wir nun auch noch die weniger bekannte, aber nicht minder schöne Schwester der Inselkette kennen lernen: die Vesterålen. Es geht also noch ein Stück höher in den Norden. Wir bekommen erneut einen herrlichen Sandstrand zu sehen, inklusive Postkarten-tauglichem, türkisblauen Wasser. Dann verlassen wir die Lofoten mit einer Fähre, auf der sich nur eine Handvoll Leute tummeln. Darum darf sogar der Hund mit aufs Deck. Dies ist die entspannteste Fährfahrt überhaupt. Die Sonne scheint und wir schippern zwischen den beiden Insel-Schwestern hindurch. Der Blick auf die Bergketten ist sagenhaft schön. Die anderen Fährpassagiere schwelgen wie wir in stillem Genuss. Es fühlt sich irgendwie an, als seien wir am paradiesischen Ende der Welt angekommen, weit weg von zu Hause. Der Himmel scheint grenzenlos. Die Glückseligkeit der fremden Ferne ist beinahe greifbar. Wir könnten ewig so weiter tuckern, doch leider dauert die Überfahrt nur 20 Minuten.
In Stø wollen wir einen Campingplatz am Meer ansteuern. Auf dem Weg dahin sehen wir wie schon oft zuvor ein Kreuzfahrtschiff. Es mag zwar sehr unterschiedliche Meinungen zu dieser Art von Reisen geben, doch die Brücken sind dank der riesigen Schiffe spektakulär in die Höhe gebaut, um die Durchfahrt zu ermöglichen.
In Stø bei Myre erreichen wir am späten Nachmittag den angepeilten Campingplatz. In der Rezeption, die gleichzeitig ein gut besuchtes Fischrestaurant auf einem Felsen am Meer ist, werden wir von einem herrlichen Geruch von frischgebackenen Zimtschnecken und der Besitzerin des Platzes begrüßt. Wir sollen uns umsehen und einen Platz aussuchen, sagt sie. Da wir frisch eingekauft haben, brauchen wir eine Stromquelle in der Nähe und suchen uns den einzigen Platz auf dem Grünen aus. Leider klopft nach einigen Stunden die Besitzerin an unseren Bus und weist uns darauf hin, dass dies der Zeltplatz sei. Auch wenn hier heute keine Zelte mehr aufgeschlagen werden, ziehen wir fünf Meter weiter um auf einen Schotterplatz. Auf den Plätzen neben uns parken einige Tagesgäste, die zum Essen hierher kommen oder um eine Wanderung entlang der Küste bis zum Fischerdorf Nyksund zu machen. Der Himmel am Abend ist verhangen, die Sonne blitzt nur gelegentlich zwischen den Wolken hervor.
Am nächsten Tag fragen wir die Besitzerin nach einer Wanderroute. Der Zimtgeruch ist noch verführerischer als gestern, also kaufe ich die letzte ausliegende Zimtschnecke als Energiespender während der Wanderung. So machen das auch die Profis, hab ich gehört. Optimal ausgestattet starten wir die Wanderung entlang der Küste, die mit vier Stunden veranschlagt ist. Bis Nyksund, ein verlassenes Fischerdorf, dass von Studenten wieder aufgebaut wurde (https://de.wikipedia.org/wiki/Nyksund), sind es um die zweieinhalb Stunden. Wie weit wir laufen, machen wir vom Weg und von der Laune abhängig. Es geht hinter dem Campingplatz los, auf schmalem Pfad, bis zu einem feinen Sandstrand. Dann über Moos und moorigen Untergrund, immer entlang der Küste.
Wir machen Rast auf einer Anhöhe neben einem See, mit ein paar wenigen Hütten im Hintergrund. Der Tee, den wir mitgenommen haben wird ausgepackt, ebenso die Bananen, die beim Einpacken schon mehr braun als gelb waren und sich in Philipps Rucksack während dem Laufen zu Mus verwandelt haben. Ups… Mit Taschentüchern und Trinkwasser beseitige ich die gröbsten Bananenstücke aus den Tiefen des Rucksacks. Die restlichen Überbleibsel des Obsts werden herunter gewürgt, ganz die Schwaben. Dann machen wir uns über die Zimtschnecken her. Die Besten, die wir bisher hatten! Unglaublich saftig und weich, mit leckerster Zimtfüllung und viel grobem, weißen Zucker bestreut. Diesen gustatorischen Superkick haben wir bei dem nachfolgenden Aufstieg auch nötig. Es geht steil bergauf über Stock und Stein. Die Bäume und Wurzeln stehen häufig im ohnehin sehr schmalen Weg, sodass wir klettern oder uns um Baumstämme herum winden müssen und dem Hundepo ab und an einen schwungvollen Schubs geben. Oben kommen wir an einer Weggabelung raus. Hier geht es weiter Richtung Nyksund oder weiter hinauf auf den Berg. Wir machen eine Pause und genießen die Aussicht. In kurzer Zeit haben wir einen guten Anstieg hingelegt und blicken jetzt auf der Rückseite des eben erklommenen Berges ins Tal, wo es einmal um einen See herum Richtung Nyksund geht. Ein französisches Ehepaar samt Golden Retriever kommt laut palavernd den Berg herunter, den wir überlegen hochzusteigen. Mein Schul-Französische reicht zum Glück aus um herauszuhören, dass der Weg bis Nyksund sich nicht wirklich lohne. Das Dorf sei nicht sonderlich hübsch, es gäbe einige große Hotels und sonst nicht viel zu sehen. Von oben habe man aber einen schönen Blick über das Meer. Da wird den ja aber schon während der Gesamten Wanderung hatten, beschließen wir, wieder abzusteigen und uns auf den Rückweg zu machen. Am Abend wollen wir – zum ersten Mal während unserer Reise – ins Restaurant gehen und uns verwöhnen lassen.
Nach einer ausgiebigen Dusche setzen wir uns gut gelaunt ins Restaurant und lassen uns von der Gastgeberin alle Gerichte auf der Karte erklären. Wir entscheiden uns schnell: Saibling für Philipp und Heilbutt für mich. Nach einheimischer Art, mit Kartoffeln, weißer Sauce, Salat und selbst eingelegten Gurken. Dazu gibt es norwegisches Bier aus der Region. Es ist köstlich! Wir schlemmen und haben danach erfreulicher Weise noch Platz im Bauch für einen Nachtisch. Die zwei Stück Kuchen sind wie erwartet papp süß und extrem lecker.
Die Gastgeberin erzählt uns, dass sie die Mutter der Chefin des Platzes sei, den sie vor drei Jahren übernommen haben. Sie hilft hier unentgeltlich jeden Tag mit aus. Ihr Mann ist Fischer und leitet die Walsafaris, die täglich vor Ort mit dem Schiff starten. Man merkt, dass sie sehr stolz auf ihre Heimat und ihre Familie ist. Sie meint, für sie sei es wie Urlaub, wenn sie mit den Touristen aus den verschiedensten Teilen der Welt nette Gespräche über deren Heimat führt. Außerdem erfahren wir, dass heute der letzte Tag ist, an dem die Mitternachtssonne zu sehen ist. Das überrascht uns und es freut uns extrem, dass wir doch noch dazu kommen, dieses Spektakel mitzuerleben. Die Abendplanung ist also festgelegt: Warten bis ungefähr 00.45 Uhr, wenn die Sonne ins Meer dippt, um dann direkt wieder aufzugehen.
Auf einem Hügel links vom Campingplatz erwarten wir eine gute Sicht auf das Schauspiel der Sonne, die nicht untergeht. Die anderen Schaulustigen stehen allesamt vorne am Meer, ein paar davon sind extra mit dem Auto hierhergekommen. Auf unserem Hügel sind wir ganz für uns. Es ist sehr kalt geworden um diese Uhrzeit, ein kühler Wind weht uns um die Ohren und die Füße kühlen immer weiter aus. Das Zwiebelschalen-Prinzip, das am restlichen Körper greift, lässt sich schwer auf die Füße übertragen. Der Hund hat sich zusammen gekringelt, wie es Huskies im Schneetreiben tun, Schnauze und Pfoten unter dem Schwanz versteckt. So warten wir drei tapfer volle anderthalb Stunden, bis die Sonne in leichter Kurve im Ozean versinkt, bis nur noch ein feiner Streifen Licht übrig bleibt. Die Anderen haben sich alle schon wieder verzogen, sind ab nach Hause ins Warme geflüchtet. Doch wir wollen ausharren und sehen, ob das Licht nicht doch gänzlich verschwindet. Die Sonne dippt kurz ins Meer, dann geht sie so langsam wie sie untergegangen ist wieder auf. Wir freuen uns diebisch über dieses einmalige Spektakel und unsere Standhaftigkeit gegen die Kälte. So schnell es mit eingefrorenen Gliedmaßen geht, hasten wir ins warme Bett. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn es gar nicht dunkel wird. Wegen der andauernden Helligkeit schlafen wir auch eher mittelprächtig, trotz fachmännisch angebrachter Alufolie an den Fenstern, die wenigsten ein bisschen abdunkelt.
Der nächste Morgen startet wie ein Déjà-vu – mit Zimtschnecken-Geruch. Die Tochter der netten Gastgeberin von gestern ist die Bäckerin und meint, es sei ein „cheap trick“, um zum Kauf zu locken. Ich sage „it works“ und nehme zwei Schnecken. Die können wir als Trösterlein brauchen, denn heute ist der Tag, an dem unsere Reise einen Wendepunkt erreicht: wir fahren wieder zurück gen Süden.
Die erste Etappe geht in östlicher Richtung, wieder auf Norwegens Festland, bis nach Øyjord. Hier wollen wir nichts erkunden, sondern lediglich die Nacht verbringen um dann auf direktem Wege weiter nach Schweden zu fahren. Der Besitzer des Campingplatzes steht sofort parat, als wir ankommen und kassiert auch gerne sofort ab. Da wir morgen über die Grenze fahren, haben wir nicht mehr viele norwegische Kronen übrig, Kartenzahlung ist nicht möglich. Also geben wir die restlichen NOK und meinen letzten Zehn-Euro-Schein, was einen guten Kurs für den Camping-Wirt bedeutet. Wir stehen am Eck des Platzes mit Blick auf Berge und auf zahlreiche Bäume.
Uns wird bewusst, dass uns die auch in Schweden erwarten. Es geht ab sofort wieder harmloser zu als im aufregenden Norwegen. Die Natur wird weniger gewaltig und spektakulär, dafür eintöniger. Endlose Straßen mit endlosen Mähren-Wäldern links und rechts werden das Landschaftsbild prägen. Aber auch Seen, Anglerboote, hübsche rote Hütten am Ufer, gepflegte Vorgärten mit präzise gemähtem Rasen und sehr freundliche, lebensfrohe Menschen. Das Raue und Rohe Norwegens haben wir schon jetzt hinter uns gelassen. Es ist wieder heimeliger und ähnelt mehr dem eigenen Zuhause.
Am nächsten Morgen überqueren wir unbemerkt die schwedische Grenze und lassen Norwegen hinter uns. Lange Autofahrten liegen vor uns, bei denen wir über das in den letzten Wochen Erlebte nachdenken und versuchen, die gewaltigen Eindrücke zu verarbeiten. In Kiruna halten wir für unsere erste Nacht zurück in Schweden. Die Besitzerin der Anlage wirkt sehr nett und gesprächig. Sie redet gleich drauf los und erzählt uns Geschichten über ihre Anlage, die vor Allem im Winter von Erasmus-Studenten heimgesucht wird. Hier steigen wilde Parties, bei denen die schwimmende
Sauna und die mit Rentier-Fellen ausgelegte Grillhütte großzügig in Anspruch genommen werden. Es folgen mehrere Entschuldigungen für die minimalistische Sanitäranlage, die erweitert werden soll, sobald eine Genehmigung eingeholt werden kann. Sie selbst ist in London geboren, in Spanien aufgewachsen und hat dann bei ihrer Mutter in Brasilien im Camp ausgeholfen. Sie fand es dort immer zu gefährlich wegen der vielen giftigen Tiere und vor Allem zu heiß. Bei einem Ersasmus-Aufenthalt habe sie dann Schweden kennen und lieben gelernt. Seit acht Jahren lebt sie nun hier und betreibt mit ihrem Mann den Platz. Ihr guter Freund Greg aus Schottland wohnt im Bauwagen nebenan und kümmert sich um die Huskies. Es sind 15 Stück und sie sind in großen Käfigen hinter unserem Stellplatz untergebracht. Am Abend setzt plötzlich unruhiges Bellen und Winseln ein: Fütterungszeit. Ich schnappe mir die Kamera und laufe Richtung Zwinger. Greg ist dabei, das Futter zu portionieren und ich spreche ihn an, was er füttert und wie oft. Er erzählt bereitwillig über seine Tier und hält hinter sich die Türe zum Zwischengang der Käfige auf. Ich bin kurz verdutzt, er gibt mir zu verstehen, dass ich mit rein darf. Die anderen Zuschauer schauen mit leichtem Neid im Gesicht, wie ich hinter Greg zu den Hunden darf. Nach einander geht er in die Zwinger und verteilt das Futter. Immer zwei Tiere sind miteinander untergebracht. Auf Holzpaletten stehen die Hundehütten. Den Hunden sei selbst dieser milde Sommer zu heiß, erklärt Greg. Im Winter, wenn der See zugeschneit ist, gehen sie mit dem Schlitten los und powern die Tiere aus. Das sei natürlich die schönste Zeit für ihn und die Hunde. Er hat nach und nach sein Rudel vergrößert und beschreibt mir jeden einzelnen Hund mit seinen rassetypischen Charakterzügen und seiner eigenen Herkunfts-Geschichte. Während er erzählt wird er von den Hunden überschwänglich begrüßt und heftig angesprungen. Ich bin fasziniert und vergesse fast das Fotografieren. Als er vorschlägt, dass ich mit in den Käfig komme, bin ich völlig aus dem Häuschen. Unter den Augen vieler Zuschauer darf ich mit zur Mutter des Rudels, zum Alpha-Tier. Mit ihr im Käfig ist ein junger Rüde, der mir so begeistert ins Gesicht springt, dass mir als erstes die Lippe aufplatzt. Egal, das ist so großartig! Das Alpha-Weibchen hat unheimlich dichtes Fell, dagegen ist Chimas Unterwolle regelrecht seidig. Ein unheimlich schönes Tier mit recht niedriger Statur, blauen Augen und einer Falte zwischen den Augen, die die Hündin ausdrucksvoll und lebenserfahren wirken lässt. Ich bin im Hunde-Himmel und darf nacheinander in alle Käfige steigen. Völlig verdreckt, mit Hundesabber im ganzen Gesicht und am Hals, aber überglücklich, bedanke ich mich ausgiebig bei Greg und versichere ihm, dass dies eines der coolsten Erlebnis auf der Reise war und ich noch oft daran denken werde. Ich komme strahlend und mit hüpfendem Herzen zum Bus zurück, Philipp hat gekocht und Chima beschnüffelt neugierig die neuen Gerüche die ich mitbringe. Was für ein schönes Willkommen zurück in Schweden!
Campingplätze:
1. Stø / Myre: Stø Bobil Camp 24,24 € inkl. Duschen
2. Øyjord: Øyjord Camping 130 NOK + 10 € inkl. Duschen
3. Kiruna: Camp Alta 26,89 € inkl. Duschen
Heeey, in der Bilderfolge sieht man nur den Sonnenuntergang und nicht den direkten Wiederaufgang. Hoffe das wird nachgereicht 🙂
LikeLike
Lieber Heiko,
nach fast zwei Stunden Warten wurde die Kamera abgebaut, weil Philipp zu kalt wurde. Mimimi. Also stell dir einfach vor, wie die Sonne einen Rechts-Bogen nach oben macht. 🙂
LikeLike
Also genau genommen war es 1:30 Uhr, es hatte 7 Grad plus Wind und ich hatte nur meine Badeshort an 😀
LikeLike
Wir wissen alle, dass das nicht stimmt, Philipp.
LikeLike
Hör auf jetzt, wir müssen seriös wirken
LikeLike
Immerhin Plusgrade😆 echt schöne Bilder! Und eine der wenigen Einträge, wo man sehen kann, dass der Himmel in Skandinavien auch blau ist😉.
Coole Sache mit den Hunden, Uli!
LikeGefällt 1 Person
Blau ist der Himmel oft, die kleinen Wölkchen täuschen, die ziehen schnell vorbei 😉
LikeLike